Délice, ça rhyme avec fleur de lys – Elémo in Selb

Würde sich der Aufwand lohnen? Würde die Werbung wirken? Würde das Atrium des WGG gut gefüllt sein? Wie würde der Auftritt ankommen? Solche und viele ähnliche Fragen gingen Christine Wlasak-Feik in den vergangenen Tagen sicherlich immer wieder durch den Kopf, denn schließlich war es ihre Idee gewesen, eine ganz besondere Veranstaltung zu organisieren: ein Auftritt des franko-kanadischen Poetry Slammers Marc-Olivier Jean alias Elémo.

Er kommt aus Montréal in der Provinz Québec (auf deren Flagge ist die fleur de lys, die Lilie, zu sehen), war in der Woche vom 30. September bis 4. Oktober in Bayern unterwegs und dank guter Kontakte ergab sich die Möglichkeit, ihn auch nach Selb einzuladen. Aber würde diese Idee auch ankommen oder wäre die Kombination Poetry Slam – französisch – Selb vielleicht doch zu gewagt? Es konnte jedenfalls kaum jemand behaupten, er hätte von nichts gewusst, denn in den Tagen vor dem Auftritt wurde die Werbetrommel fleißig gerührt, nicht nur in der Schule selbst, sondern auch über die sozialen Netzwerke und ganz klassisch mit Plakaten an verschiedensten Stellen; auch an benachbarte Schulen erging eine Einladung.

Als Glücksfall sollte sich erweisen, dass Elémo kurzfristig schon am Dienstag, dem 1. Oktober, anreisen konnte. Er war nämlich damit einverstanden, am Mittwoch gleich drei Workshops zum Thema Poetry Slam mit Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Jahrgangsstufen abzuhalten, sie ließen sich noch einmal mehr begeistern und wollten den Auftritt am Abend auf keinen Fall verpassen. In den drei Workshops für die Französischschüler der Klassen 9 bis 12 gelang es dem sympathischen Künstler scheinbar spielend, innerhalb von 90 Minuten einen Bogen von der Theorie zur Praxis zu schlagen, die Kreativität der Schüler anzuregen und ihnen so einen ganz neuen Zugang zur französischen Sprache einerseits und zu Literatur andererseits zu eröffnen: Nach seinem exakt dreiminütigen, mitreißenden Live-Vortrag seines bekannten Slams „Je suis“ ließ er die Teilnehmenden zunächst die Grundlegen eines Poetry-Slams erarbeiten.

Er erklärte den Unterschied zwischen Slam und Rap – Ersterer geht letztendlich vom literarischen Text aus und ist der wirkungsvolle Vortrag eines Gedichts, Letzteres ist Musik, die mit rhythmisierter Sprache unterlegt wird. Er verdeutlichte Stilmittel wie Metaphern und Vergleiche, ließ Reimwörter finden, ging auf Darstellungsmittel wie Stimme, Gestik, Pausen, Lautstärkemodulation ein – alles auf Französisch natürlich, denn er spricht keinerlei Deutsch. Doch die Schüler konnten ihm gut folgen und arbeiteten sehr aktiv mit. Im anschließenden Praxisteil jedes Workshops waren die Teilnehmer aufgefordert, selbst ein kleines Gedicht zum Thema „Je suis“ – „Wer bin ich?“ auf Französisch zu verfassen, dabei Reime sowie mindestens eine Metapher und einen Vergleich zu verwenden. Die Ergebnisse waren beeindruckend!  „Können wir öfter so etwas machen?“ war somit eine der häufigsten Fragen, die die Schüler anschließend stellten.

So weit, so gut, so viel zum Tag mit Elémo in der Schule. Aber geht auch das, Poetry Slam mit einem einzigen Künstler einen ganzen Abend lang? Die Antwort darauf gaben erst Christine Wlasak-Feik und dann Elémo selbst. Als sie zur Begrüßung vor das Publikum trat, waren ihr Erleichterung und Freude anzumerken, denn die Fragen, die sich während der Vorbereitung gestellt hatten, konnten alle mit „Ja“ beantwortet werden: der Aufwand hatte sich gelohnt – die Werbung hatte (an)gezogen – das Atrium war bestens gefüllt. Und das schon eine ganze Weile vor Beginn, die Gäste nutzten schon vor dem Start die Gelegenheit, Spezialitäten aus Frankreich und Québec zu kosten.

Pünktlich um 19 Uhr eröffnete sie den Abend und informierte erst einmal über die kleine Odyssee, die Elémo hinter sich gebracht hatte, um von München über Nürnberg nach Selb zu kommen, und über Poetry Slam an sich: ein Auftritt, ein Künstler, ein Mikrofon, keine Zutaten außer Stimme und Gesten, drei Minuten Zeit. Ist Elémo dann also ein echter Poetry Slammer, wenn er sich einen ganzen Abend für einen Auftritt nimmt und seine Slams auch noch mit Musik unterlegt? Falls jemand sich solche kritischen Fragen gestellt haben sollte, waren sie eine Minute später auch schon wieder vom Tisch beziehungsweise von der Bühne gefegt: vom ersten Moment an, als Elémo das Mikrofon übernahm, war er einfach da und es fühlte sich genau richtig an, ein echter Genuss, ein „délice“.

Er nahm sofort alle Besucherinnen und Besucher mit, egal, wie wenig oder viel Französisch sie verstanden – die einfache Frage „ça va?“ reichte aus, ein lautes, gemeinsames „Oui“ folgte als Antwort, und dann konnte es auch schon losgehen. Dieses „es“ passend in Worte zu fassen, fällt nicht leicht, Elémos Slams sind eine Kunst und ein Erlebnis für sich. Er spielt mit der französischen Sprache, nutzt Wörter, Silben, Reime und Klänge, setzt sie überraschend und ungewohnt zusammen und verleiht ihnen so einen ganz neuen Sinn. Dabei kreiert er keine neuen Begriffe, sondern nutzt die Möglichkeiten aus, die das Französische bietet, so erzählt er seine eigenen, ganz individuellen Geschichten – sie handeln von persönlichen, auch schwierigen und teils bedrohlichen Erfahrungen aus seinem Leben, geben wieder, was er aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe (die Wurzeln der Familie liegen in Haiti) fühlt oder wie er sich die Zukunft ausmalt.

Mal rasend schnell, mal melancholisch und verträumt, mal zum Mitklatschen animierend, mal zum Nachdenken anregend nahm er das Publikum ganz für sich ein. Manchmal war er durchaus kritisch mit sich und anderen und gab Statements auch zu politischen Themen wie Rassismus ab, aber seine Grundeinstellung kam immer wieder durch: „I can do it“ ließ er dem Publikum wissen, „Vivre“ (=Leben) und „Tout ira bien“ (=Alles wird gut gehen) sind seine Leitgedanken, das Positive im Leben überwiegt. Großes Spektakel drumherum brauchte er nicht, was er erzählte und wie er es erzählte, reichte völlig aus. Wie im Flug vergingen eineinhalb Stunden mit zahlreichen Beiträgen von seinen beiden Alben, ganz sicher niemand bereute sein Kommen zu diesem einzigartigen Abend. Eine Zugabe durfte nicht fehlen, es war bestimmt kein Zufall, dass Elémo sich für „Papaoutai“ von Stromae entschied, auch der belgische Sänger ist ein Wort- und Wandlungskünstler. Nach dieser Performance war es kein Wunder, dass die Schlange der Fans an seinem Tisch nach Ende des Konzerts lang war: die einen holten sich ein Autogramm oder eine CD, die anderen ein Foto mit Elémo und wieder andere wollten einfach Danke sagen – wir auch: „Merci beaucoup“ und hoffentlich „A plus“!

Ein großes Dankeschön gilt dem Verein der Freunde des WGG, der Vereinigung der Französischlehrer in Bayern e.V. sowie der Deutsch-Französischen Gesellschaft e.V., ohne deren tatkräftige und finanzielle Unterstützung Elémos Auftritt in Selb nicht möglich gewesen wäre. Ein ebenso großes „Merci“ geht an das Technikteam des Gymnasiums, das den musikalischen Hintergrund perfekt einspielte, und an alle, die für ein reichhaltiges Buffet und die Verpflegung der Gäste sorgten.

OStR Jens König